Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister,
Sehr geehrte Ministerpräsident*innen der Länder,
um die Ausbreitung des Covid-19 Virus zu verlangsamen, müssen wir als Gesellschaft gemeinsam agieren und uns so verhalten, dass
Übertragungen vermieden werden. Verhaltensmaßnahmen dazu wurden von Ihnen festgelegt und diese gilt es selbstverständlich zu befolgen.
Obdachlose Menschen in allen Städten Deutschland gehören ebenfalls zur Gesellschaft und zählen aufgrund ihres schwachen Immunsystems
durch das Leben auf der Straße zu den Risikogruppen.
Viele Einrichtungen in der Obdachlosenhilfe, die hauptsächlich ehrenamtlich und/oder mit einer großen Anzahl von ehrenamtlichen
Helfern tätig sind, haben stark eingeschränkten Betrieb.
Das bedeutet, dass eine Grundversorgung nur noch sporadisch möglich ist und die Nutzung von sanitären Einrichtungen derzeit kaum noch
gegeben ist.
Viele der Maßnahmen, die sich an die allgemeine Bevölkerung richten - Selbstisolierung, erhöhte Hygiene, Zuhause bleiben, strikte
soziale Distanzierung - sind keine realistische Perspektive für Menschen, die obdachlos oder wohnungslos sind. Um die höchstansteckende Verbreitung der Pandemie eindämmen zu können,
brauchen
obdachlose Menschen einen geschützten Raum, Nahrung und einen Zugang zu Sanitäranlagen.
Einige Menschen, ehrenamtlich oder professionell, leisten seit letzter Woche Unglaubliches. Polizisten und Straßensozialarbeiter sind
auf den Straßen unterwegs und versuchen, obdachlose Menschen mit Ansprache und/oder mit Lunchpaketen zu unterstützen. Sie alle erleben die Ängste und auch die Hilflosigkeit der obdachlosen
Menschen und können nur zuhören, nicht helfen. Eine sehr belastende Situation.
Unsicherheit besteht auch seitens der Polizeibehörde wie in Interviews von Polizeisprechern deutlich wurde. Allgemeinverfügungen zur
Eindämmung des Coronavirus werden kurzfristig für bestimmte Personengruppen / Einrichtungen geändert, so, dass für obdachlose Menschen erneut keinerlei Aussicht auf eine Änderung der prekären
Situation besteht.
Entgegen der absolut notwendigen und lebensrettenden Beschränkungen der allgemeinen Bevölkerung werden hier Allgemeinverfügungen für
„Randgruppen“, die mit einem bereits geschwächten Immunsystem in einer prekären Lebenssituation leben, außer Kraft gesetzt und Gruppenzusammenkünfte u. a. auch in Einrichtungen und
Hilfsgruppen, die überwiegend mit ehrenamtlichen Mitarbeitern besetzt sind, ermöglicht.
Alle Menschen, die hier zusammentreffen würden, sind dann unkontrollierbare Multiplikatoren des Corona Virus.
Kann so wirklich Hilfeleistung seitens der Behörde aussehen und ist das Eingehen eines derartig hohen Risikos wirklich
gewollt?
In anderen Ländern Europas wird zumindest versucht, Hilfe zu leisten. In London werden hunderte Obdachlose in Hotels untergebracht, um
sie vor dem Corona Virus zu schützen. Ca. 300 Zimmer in zwei Hotels werden dafür zur Verfügung gestellt und zunächst auf die kommenden zwölf Wochen befristet. "Wir müssen alles Mögliche tun,
um die Gesundheit aller zu schützen - nicht zuletzt die der Londoner, die jede Nacht unter rauesten Bedingungen auf den Straßen der Hauptstadt schlafen", so Londons Bürgermeister Sadiq
Khan.
Allgemeinverfügungen sollten für alle Menschen in Deutschland gelten. Zu den Menschenrechten gehört ein Mindestmaß an Lebensunterhalt
und Schutz. Es ist der Auftrag von Staat und Politik, für alle Menschen gleiche Rechte, gleiche Zugänge und gleichen Schutz sicherzustellen und das nicht nur in Krisenzeiten.
Obdachlose Menschen benötigen JETZT Schutz durch sofortige dezentrale Unterbringung
und Versorgung. Dazu könnte die Unterbringung in Hotelzimmern gehören, die bedingungslose medizinische und pflegerische Versorgung, sowie bei der
Unterbringung in Notunterkünften und Heimen die Zimmer nur noch zur Einzelnutzung vergeben werden dürfen. In Hamburg und anderen Städten, in denen es bereits ein
Winternotprogramm gibt, wäre eine ganztägige Öffnung des Winternotprogramms sowie eine Weiterführung des Winternotprogramms inklusive der
Containerunterbringung angezeigt.
Der Verein Leben im Abseits e. V. wurde gegründet, um Behörden und Öffentlichkeit über das unakzeptable und
menschenunwürdige Leben auf der Straße aufzuklären sowie die Einsicht zu fördern, dass obdachlose Menschen einen Anspruch darauf haben, mit Würde, Respekt und Anstand behandelt zu
werden.
Die Bevölkerung konnten wir bisher sehr gut erreichen, was derzeitige Anfragen nach Unterstützungsmöglichkeiten und Spendenangeboten
an uns zeigt.
Bitte zeigen SIE alle, dass Sie den obdachlosen Menschen Gleiches Recht für Alle
zukommen lassen!
Sie sind die Vertreter von Staat und Politik und haben nicht nur die Kompetenz, sondern auch die Macht, bundesweite
Regelungen zu beschließen.
Lassen Sie die obdachlosen Menschen nicht allein!
Hamburg, den 25.03.2020
Leben im Abseits e. V.
Susanne Groth Doris
Glass Christian Eckhoff