Thomas Tessmann


Zu Beginn des Lock Downs, am 16. März 2020, herrschte auch bei uns auf der Davidwache Chaos und Ratlosigkeit.

 

Auf der Straße wurden wir mit der Panik der obdachlosen Menschen konfrontiert. Nahezu alle Einrichtungen waren geschlossen und die Angst der Menschen, wo sie sich jetzt z. B.  mit Nahrung etc. versorgen konnten, war spürbar.

Wo können wir duschen, zur Toilette gehen oder Essen und Trinken bekommen? waren die Fragen, mit denen wir auf der Straße konfrontiert wurden. Und – wir konnten leider keine Antworten geben!

 

Die Stadt Hamburg hatte zwar das Winternotprogramm geöffnet, aber diese Unterkünfte wurden von den Menschen auf der Straße abgelehnt. Die Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona Virus in den Massenunterkünften ließen die Menschen lieber auf der Straße ausharren.

Als Bürgernahe Beamte fühlten wir uns hilflos und haben ständig überlegt, wie wir Hilfe organisieren könnten.

 

Aber St. Pauli ist auch in Zeiten von Corona außergewöhnlich. Es dauerte keine drei, vier Tage da wurden von diversen ehrenamtlich Tätigen Hilfen organisiert. Brote wurden geschmiert und verteilt, Wasser und Tee ausgegeben, Obst, haltbare Lebensmittel und Kleidung wurden an die obdachlosen Menschen verteilt.

 

Der Elbschloßkeller, der zu Beginn der Corona Pandemie zum ersten Mal in der Zeit seines Bestehens schließen musste, funktionierte die Kneipe kurzer Hand zur täglichen Essens- und Kleidungsausgabestelle um. Nach einem Spendenaufruf musste Daniel Schmidt, der Besitzer des Elbschloßkellers sowie zwei weiterer Kneipen auf dem Kiez, alle drei Läden als Lagerraum für Spenden umfunktionieren. Zuerst wurde auf einem Gaskocher für obdachlose Menschen gekocht, aber nach ein paar Tagen kochte der Besitzer des Hidden Kitchen, Tuschi, für den Elbschloßkeller.

 

Alle Aktionen wie Spendenannahme, Essens- und Kleidungsausgabe und auch die anschließende Reinigung funktionierte nach vorheriger Absprache mit uns als Polizei hervorragend.

Natürlich gab es hier auf einmal Beschwerden von Anwohnern aufgrund der vielen Menschen zu Stoßzeiten, aber wir fanden, dass DAS St. Pauli in so einer Zeit wohl aushalten kann!

Die Ehrenamtler vom Elbschloßkeller haben nicht nur Nahrung und Kleidung verteilt, sondern auch Essen an bedürftige Menschen verteilt, die nicht zum Elbschloßkeller kommen konnten.

 

Das CaFée mit Herz musste zwar seine Räumlichkeiten schließen, hat aber eine Essensausgabe durchs Fenster vorgenommen. So konnten die obdachlosen Menschen zumindest eingeschränkt die Tagesstätte weiter aufsuchen. Die Essensausgabe durchs Fenster funktionierte auch hier vorbildlich.

Viele Menschen auf St. Pauli unterstützen die Obdachlosen mit Geldspenden, denn durch fehlende Touristen und Pendler blieben ja die Bettelbecher leer.

Der Verein Leben im Abseits und Nicky Wichmann vom Amsterdam Headshop, unterstützen mit Lebensmittelgutscheinen und Geldspenden. Die Marktleiterin eines Discounters auf der Reeperbahn verteilte Wasser und Eis und der Pfarrer Schulz von der St. Joseph Kirche in der Großen Freiheit spendete 1.000 Euro an den Elbschloßkeller zur Versorgung der obdachlosen Menschen.

 

Der schlimmste Zustand hier auf dem Kiez aber war die fehlenden sanitären Anlagen. Die Menschen standen weinend und mit „zusammen gekniffenen Beinen“ vor uns und fragten: Wo sollen wir hin? Die Anwohner und Gewerbetreibenden beschwerten sich über Eingänge voller Fäkalien. Es fehlten die öffentlichen Toiletten und die Toiletten in Bars, Kneipen und Restaurants, die vor dem Lock Down benutzt wurden.

 

Wir haben versucht, Dixie-Klos oder Toilettenwagen zu organisieren, sind aber leider an den einzuhaltenden Meldewegen gescheitert.

Unsere Forderungen wurden aufgenommen, aber es erfolgte keine Entscheidung.

Mein Verständnis von Hilfe und Unterstützung in solch einer Krise sieht anders aus und mir fehlte hier wirklich ein MACHER, wie Helmut Schmidt es war.

 

Der Geschäftsführer des CaFée mit Herz ließ fünf Dixie Klos aufstellen, da er die Misere nicht mehr mitansehen konnte. Nach Aufstellen der Klos sagte dann die Sozialbehörde die Kostenübernahme hierfür zu.

Aber fünf Dixie Klos vor einer Tagesstätte waren natürlich überhaupt nicht ausreichend an sanitären Anlagen auf dem Kiez und viele Obdachlose auf der Reeperbahn waren gar nicht in der Lage, zu Fuß zum CaFée mit Herz zu laufen.

 

Zweieinhalb Wochen nach dem Lock Down öffnete dann das Bäderland am Millerntor Stadion endlich seine Pforten. Die Menschen waren mehr als froh, nach so einer Zeit wieder duschen zu können. „Ich stinke, es juckt alles und ich fühle mich schrecklich“ waren Aussagen, die uns tagtäglich erreichten.

Und auch hierbei war wieder Daniel Schmidt vom Elbschloßkeller ein großer Helfer. Die Menschen, die nicht zu Fuß zum Duschen ins Bäderland konnten, wurden von ihm mit einem eigens dafür umgebauten PKW gefahren und wieder abgeholt.

 

Trotz Corona Pandemie fanden aber nach wie vor Diebstähle, auch an obdachlosen Menschen, statt. Viele Obdachlose, die vor der Pandemie nicht auf dem Kiez „ansässig“ waren und seit dem Lock Down aber ihre Platten hier eingerichtet haben, führten nachts Diebstähle auf anderen Platten durch. Zur Anzeige wollten die meisten Obdachlosen dieses nicht bringen. Sie hatten bereits resigniert. Wir Bünabe’s haben aber diese Tatbestände an alle Einsatzabteilungen weitergeleitet und die Kollegen in den Schichten um Wachsamkeit gebeten. Die Einsatzkräfte gingen an den „bekannten Plätzen“ vermehrt Streife und so konnten Festnahmen vorgenommen werden.

Ich selber habe alle Diebstähle aufgenommen und es konnten tatsächlich drei Täter festgenommen werden. Diesen Tätern konnten diverse Taten zugeordnet werden und sie sind in U-Haft genommen worden.

 

Die Hotelunterbringungen im Frühjahr 2020 und auch im Winter 2020/2021 waren für ganz viele obdachlose Menschen ein Segen. Die, die auf keinen Fall ins Winternotprogramm wollten, sind sofort und gerne ins Hotel gegangen.

 

Auf behördliche Empfehlung sollte die Polizei, da in Hamburg auf der Straße viele tote Menschen zu beklagen waren, obdachlose Menschen bei drohendem Kältetod ins Winternotprogramm schicken und falls diese nicht gehen wollen, sie in Gewahrsam nehmen. Das in Gewahrsam nehmen erfolgte natürlich nicht, denn die Menschen sollten auf keinen Fall Angst vor der Polizei bekommen.

 

Abschließend sage ich, dass ein großer Zusammenhalt auf St. Pauli herrschte und immer noch herrscht. Anwohner, Gewerbetreibende, Vereine und andere Helfer haben Großartiges bei der Versorgung von obdachlosen Menschen geleistet. Von Seiten der Stadt hätte ich mir persönlich andere Hilfen und vor allem schnellere Hilfen gewünscht.