Johan Graßhoff


Johan Graßhoff, Straßensozialarbeiter für obdachlose Menschen der Diakonie Hamburg

 

Wir bei uns in der Diakonie Hamburg haben das Corona-Virus erstmal im Februar 2020 zur Kenntnis genommen und uns damit beschäftigt. Jedoch haben wir auch nicht im Entferntesten darüber nachgedacht, welche Auswirkungen es haben würde.

 

Heftig wurde es dann am 16. März 2020, da stand das Leben auf einmal still. Für mich und speziell für die obdachlosen Menschen hat sich seitdem viel verändert. Wir waren hilflos, wussten nicht, wie wir damit umgehen sollten. Aber eines war uns klar – Wir bleiben nicht stehen.

 

Die Pandemie stellte uns alle vor große Herausforderungen. Tagesstätten-Einrichtungen wurden, genau wie Restaurants, Kneipen und andere Lokalitäten, geschlossen und obdachlose Menschen haben alle ihre Anlaufpunkte verloren, standen vor verschlossenen Türen. Sanitäre Anlagen zum Duschen oder für Toilettengänge gab es nicht mehr.

 

Wir haben ganz viel telefoniert, gefragt, wie andere Einrichtungen und Sozialarbeiter*innen arbeiten. Mit dem Lastenfahrrad haben wir Lunchpakete und Wasser verteilt, Desinfektionsmittel an obdachlose Menschen ausgegeben. In unserer Tagesaufenthaltsstelle haben wir Essen nach draußen ausgegeben, denn wir durften zum Schutz der obdachlosen Menschen keine Essenausgabe mehr in unseren Innenräumen durchführen.

 

Nachmittags war ich immer auf der Straße, um die obdachlosen Menschen aufzusuchen. In der Innenstadt waren sie auf einmal viel sichtbarer, denn Touristen gab es nicht mehr und viele Arbeitnehmer*innen der Firmen in der Innenstadt waren im Home-Office. Die extreme Armut und Hilflosigkeit in der Innenstadt zu sehen war absolut krass und sehr schlimm. Alle blieben zuhause, um sich zu schützen. Nur die Frage war. Was machen die Menschen, die kein Zuhause haben?

 

Durch eine Großspende, die wir als Diakonie Hamburg, Hinz und Kunzt sowie die Alimaus von einer Hamburger Firma bekommen haben, konnten wir eine Hotelunterbringung für obdachlose Menschen starten. Zusammen mit Stephan Karrenbauer von Hinz und Kunzt haben wir überlegt, wie wir es am besten umsetzen konnten. Dass wir obdachlose Menschen im Hotel unterbringen können und sie sich dadurch schützen konnten, hat mich ich total gefreut. Viele Hotels, die wir angefragt haben, waren sofort bereit, uns zu unterstützen. 

 

Nun war mein Alltag damit ausgefüllt, obdachlose Menschen in Hotels zu bringen und dort zu unterstützen. Selbst Obdachlose Menschen, die jahrelang alle Angebote abgelehnt hatten, waren sofort bereit, ins Hotel zu gehen. Der Grund war sehr simpel. Einzelzimmer, Privatsphäre und Autonomie.

 

Diese Zeit war für uns alle eine psychische und physische Herausforderung. Obdachlose Menschen ins Hotel zu bringen und dort vor Ort immer als Sozialarbeiter und Ansprechpartner tätig zu sein, wurde ein Add-on zum Arbeitsalltag. Morgens war ich in der Tagesaufenthaltsstätte und mittags bin ich dann mit dem Rad losgefahren. Ich habe versucht, auf der Straße meine offene Sprechstunde weiterhin abzuhalten, damit der Kontakt zu den Menschen nicht abreißt.

 

Der Zugang zu den Behörden, Ämtern und Jobcentern gestaltete sich durch die Corona Hygienevorschriften extrem schwer. Die inzwischen vorgeschriebene Maskenpflicht war für die obdachlosen Menschen ebenfalls kaum zu erfüllen. Wir und andere Initiativen haben daher unzählige Masken ausgegeben und mit sie Schutzmaterialien versorgt. Für mich war es wichtig, auch auf die Herausforderungen von obdachlosen Menschen während der Pandemie aufmerksam zu machen.

 

Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit haben wir versucht, die Gesellschaft und auch die Politik zu informieren und darauf aufmerksam zu machen, dass obdachlose Menschen zu den vulnerablen Gruppen gehören und Schutz in Einzelunterkünften benötigen. Hierzu haben wir Kundgebungen und Mahnwachen initiiert sowie Petitionen und offene Briefe geschrieben.

 

Bei der Sozialbehörde fand unsere Ansprache jedoch leider keinen Anklang. Die Behörde kritisierte sogar die Hotelunterkünfte, die durch die Großspende aus der Wirtschaft ermöglicht wurde. „Gut gemeint, jedoch schlecht gemacht“, war eine Aussage des Pressesprechers der Sozialbehörde. Wir konnten in der Praxis das genaue Gegenteil beweisen.

 

Was ich jedoch hervorheben kann, ist die Solidarität unter den einzelnen Initiativen und Kollegen*innen. Die Zusammenarbeit funktionierte hervorragend. Der Austausch untereinander war mehr als hilfreich in dieser Zeit.

 

Viele Tagesstätten und Angebote sind bis heute noch nicht wieder im „vollen Einsatz“. Für die obdachlosen Menschen bedeutet es, fehlender Rückzugsort, eingeschränkte Versorgung und weniger sanitäre Einrichtungen. Das Fehlen all dieser Möglichkeiten sieht man am körperlichen und seelischen mangelhaften Zustand der Menschen auf der Straße.

 

Die Corona Pandemie ist ein Brennglas, denn es wurde erkennbar, wo es mangelt, welche Forderungen für eine adäquate Obdachlosenpolitik bestehen. Die Sozialbehörde jedoch beharrt weiterhin auf ihrem völlig unzureichenden Konzept und ist nicht bereit für einen Paradigmenwechsel. Es reicht nicht Obdachlosigkeit zu verwalten, sondern Obdachlosigkeit muss bekämpft werden!

 

Diese Einstellung löst bei allen Enttäuschung, aber auch Wut aus. Seit Beginn der Corona Pandemie gab es so viele tote Menschen auf der Straße wie nie zuvor – trotzdem spricht die Sozialbehörde und Politik von einem ausreichenden Konzept!

 

Wir müssen weiterhin laut und unbequem sein, um wirklich nachhaltige Hilfe leisten zu können und einen Paradigmenwechsel zu erreichen. Aus diesem Grund bin ich auch in die Linkspartei eingetreten und habe mich als Bundestagskandidat aufstellen lassen. Mir ist es wichtig, das Thema Armut und Obdachlosigkeit in den Diskurs zu werfen. Wohnen ist die soziale Frage im 21.Jahrhundert. Während des Wahlkampfes habe ich sehr positive Resonanzen bekommen und ich werde mich weiterhin für das Thema einsetzen und kämpfen.

 

Auf einige weitere positive Ereignisse können wir ja auch zurückblicken. Seit Mai 2021 gibt es gebührenfreie Ausweise für Obdachlose Menschen. Das werte ich als einen Schritt in die richtige Richtung. Eine Hürde, von vielen, weniger. 

 

Bis 2030 soll Obdachlosigkeit in Europa beendet werden, ich denke, dass es ein schwieriger Weg ist, aber das jetzt ein Ziel gesetzt wurde, ist sehr wichtig. Im Zentrum muss das Menschenrecht auf Wohnen stehen. Nur so kann es gelingen!